Wie wurde aus Benjamin Eicher ein Massai Krieger?

Hast Du den Krieger in Dir entdeckt und gezähmt?

Benjamin Eicher: „Den Krieger in mir habe ich schon sehr früh entdeckt, als ich gemerkt habe, dass ich einen starken Freiheitsdrang habe, kreativ bin und meine Meinung sage. Wahrscheinlich gehört das alles zu einem Krieger. Ich war ein wildes Kind, das in einer normalen staatlichen Schule nicht funktioniert hat und in eine Waldorfschule wechselte. Dort lässt man wilde Kinder etwas wilder sein. Dort durfte ich als Schüler meinen ersten Film machen. Meine Wildheit hat sich in Kreativität gewandelt. Erstmals bekam ich für eine Arbeit ein tolles Feedback. Mein erster Film ‚Ein Leben für die Katz’“ passt zu meinem aktuellen Film. Ich porträtierte eine Tierschützerin, die in ihrem Haus gut 100 Katzen und Hunde aufpäppelte, damit diese Tiere wieder ein neues Zuhause finden. Gleichzeitig berichtete ich über einen Bauern, der viele Hühner zusammengepfercht in Legebatterien hielt. Mein großes Thema – damals wie heute – sind Freiheit und respektvoller Umgang mit der Natur.“

Wie fühlst Du Dich nach dem Abenteuer? Hat sich Dein Leben verändert?

Benjamin Eicher: „Ich durfte Teil einer ganz anderen Kultur werden. Das Hirtenvolk der  Massai verehren einen Gott, der ihnen die Macht über die Rinder auf der Erde gegeben hat. Sie erzählen sich keine Heldengeschichten von früher. Sie leben den Moment. Die Vergangenheit ist nicht da. Die Zukunft ist nicht wichtig. Deshalb ist der Moment unglaublich stark und intensiv. Wir dagegen machen uns Sorgen, was morgen sein wird. Oder wir überlegen, ob wir gestern alles richtig gemacht haben. Die Massai haben die Vergangenheit abgehakt. Ein Massai-Baby wird gleich nach seiner Geburt nach seinem Vater benannt. Stirbt der Vater, bekommt das Kind einen neuen Namen. Es darf noch ein, zwei Tage an seinen verstorbenen Vater denken. Danach vergisst man ihn und lebt den Augenblick. Mich auf den Moment konzentrieren – das habe ich von meinem Abenteuer mitgenommen. Ich mag mein Handy nicht mehr. Dafür liebe ich die Sonne, unterhalte mich gerne im direkten Kontakt und schaue oder beobachte. Unsere Gesellschaft lenkt sich heute sehr stark ab mit dem Handy oder kurzen Filmsequenzen. Es fällt schwer, uns länger mit etwas auseinanderzusetzen. Da bin ich schon stolz auf die Filmindustrie, die es immer noch schafft, Menschen 90 Minuten lang zu binden.“

Das Volk der Massai fasziniert die Europäer, die Touristen und zum Beispiel die LeserInnen und ZuschauerInnen des Bestsellers ‚Die weiße Massai‘. Was begeistert Dich an diesem stolzen Hirtenvolk?

Benjamin Eicher: „Die Massai sind mittlerweile sesshaft. Früher waren sie Nomaden. Sie leben in Dörfern mit ihren typischen Hütten aus Lehm und getrocknetem Kuhdung. Der Bestseller ‚Die weisse Massai‘ zeigt ihre alltägliche Kultur; mein Film konzentriert sich auf den Ausschnitt der Kriegerkultur. Um ein echter Massai-Krieger zu werden, muss man ein Auserwählter sein, der zunächst zwei Prüfungen bestehen muss: Die Beschneidung bereits ab zehn Jahren und das rituelle Zahnziehen für die charakteristischen Zahnlücken. Sie dürfen dabei keinen Schmerz zeigen. Später leben sie drei Jahre in einer kleinen autarken Gruppe in der freien Natur, damit sie das Leben mit den Tieren und der Natur, aber auch das Überleben in der Wildnis lernen. Für uns sind Krieger Menschen, die kämpfen und töten. Die Massai-Krieger wollen sich mit den Tieren arrangieren. Sie sind eigentlich Hirten, Kühe und Ziegen haben für sie eine echte Wertigkeit. Dieser Umgang mit der Natur und ihre große Beobachtungsgabe faszinieren mich. Lange bevor ich ein Tier sehe, wissen die Massai-Krieger schon, welches Tier gleich kommen wird; ob von dem Tier eine große Gefahr ausgehen wird oder es gerade friedlich ist. Nur ein hungriger Löwe greift Menschen an. Nicht aber die Massai-Krieger mit ihrer roten Körperbemalung. Das Rot signalisiert Gefahr. Diese Farbe, die aus Fett und einem Gestein gemischt wird, schützt vor Tieren, auch vor Mücken und der Sonne. Auch ich trug diese Körperbemalung. Was ich auch niemals vergessen werde, ist das gemeinsame rhythmische Singen. Unterwegs hat unsere Gruppe permanent gesungen. Wir waren in einem gemeinsamen Klangfluss und haben uns verstanden, ohne zu reden.“

Wie kam es zur Idee, in die Rolle eines Massai-Kriegers zu schlüpfen?

Benjamin Eicher: „Es begann mit einem echten Glücksfall. Ich durfte für Universal eine Dokumentation über ein blutiges Naturspektakel drehen. Einmal im Jahr überqueren eine Million Gnus und 300 000 Zebras den Mara River zwischen Kenia und Tansania, in dem hungrige Krokodile lauern. Mein Guide, der mich an die richtigen Schauplätze führte, war ein echter Massai-Krieger, der englisch sprach und mich nach dem Dreh in sein Dorf mitgenommen hat. Es war kein living Museum, das Touristen normalerweise zu sehen bekommen, sondern eine ursprüngliche Dorfgemeinschaft. Am Tag vor meiner Abreise kam der Dorfälteste, der auch ein Seher ist, zu mir und sagte: Benjamin, ich bin selber ein inzwischen alter Massai-Krieger. Ich sehe, dass unsere jungen Menschen nicht mehr im Dorf leben wollen. Es zieht sie in die Städte. Ich glaubt, dass es unsere Kultur nicht mehr lange geben wird. Der alte Krieger bat mich, zurückzukommen und einen Film über seine Kultur zu machen, so lange noch Menschen diese Tradition in einer ursprünglichen Dorfgemeinschaft leben. Er möchte, dass ich der erste weisse Mensch bin, der diese Massai-Kriegergeschichte machen darf und dann auch darüber berichten werde. Eine große Ehre für mich und ein wunderschönes Projekt.“

War es schwierig, dieses Filmprojekt zu realisieren?

Benjamin Eicher: „Die Finanzierung dauerte ein Jahr, der Dreh zwei Monate und der Schnitt anderthalb Jahre. Wir kamen mit unheimlich viel Filmmaterial zurück. Als ich tatsächlich wieder in das Dorf zurückkehrte, freute sich der Dorfälteste unheimlich. Seine Einladung hat unsere Arbeit erleichtert. Timo Joh. Mayer begleitete mich mit der Kamera. Wir drehten zielorientiert, ganz ohne Drehbuch. Die ganze Dorfgemeinschaft unterstützte das Filmprojekt.“

Hast Du für dieses filmische Experiment persönliche Grenzen überwinden müssen?

Benjamin Eicher: „Nein, in meinem Leben gehe ich gerne an meine Grenzen. Man kann nur im Entdecken von Neuem das Leben erspüren. Ich fühle mich wohl in der Oper, aber auch auf einem Punkrock-Konzert. Ich gehe gerne in die Clubs auf Ibiza und lasse mir von meinem Vater die besten PianistInnen und seine liebsten Operetten vorspielen. Meine Eltern nahmen mich mit zu ihren internationalen Hilfsprojekten für Aidskranke, Drogensüchtige, Taube und Blinde. So war ich schon an vielen Orten dieser Welt, wo die Menschen überhaupt nichts haben. Benjamin heißt Sohn des Glücks. Das hat mein Körper sehr gut aufgenommen. Ich habe immer Glück gehabt mit allem, was ich gemacht habe. Aber das ist keine Selbstverständlichkeit.“

Gehörte zu Deinem Massai-Ritual auch das Trinken des Tierblut und das Töten von Tieren?

Benjamin Eicher: „Das war wirklich eine klare Grenze. Ich kann keiner Fliege was zuleide tun. Plötzlich musste ich zum ersten Male in meinem Leben ein lebendiges Tier töten. Und dann mußte ich auch noch vom Blut des geschlachteten Tieres trinken. Vorher war das etwas Unnatürliches für mich. Eigentlich ist es unnatürlich, wenn man in Plastik verpacktes Fleisch einkauft. Der Moment, als ich das Tier tötete und mit den anderen zusammen das Blut getrunken habe, war unglaublich normal. Timo Joh. Mayer, der mich mit der Kamera begleitete, hat auch vom Blut getrunken. Aber man sah ihm an, das er nicht mag. Später ließ ich die Massai vom Ketchup probieren, den ich aus Deutschland mitgebracht hatte. Sie mochten es genau so wenig wie Timo das Blut.“

Hast Du manchmal überlegt, das Experiment abzubrechen?

Benjamin Eicher: „Nein, es war eine Freude von der ersten bis zur letzten Sekunde.“

Was passiert, wenn man die Prüfungen bestanden hat?

Benjamin Eicher: „Ich bekam einen neuen Namen. SCHALAMAN TIRA. Tira ist der Name des Mannes, der mich in die Gemeinschaft aufgenommen hat, also die Vaterfigur im Ritual. Wenn er stirbt, wird mein Name geändert. SCHALAMAN heißt der Allesesser. Vielleicht wählten sie ihn, weil ich sagte, dass ich auch gerne Zebras oder Gnus essen würde. Das Hirtenvolk ißt nur gezüchtete Tiere und schützt die Natur. Deshalb leben sie in einer der tierreichsten Gegenden der Welt. Die Massai wollten bei den Prüfungen nicht sehen, was ich mir traue. Sie wollten erleben, dass ein Europäer ihr Leben mitleben kann. Ich schlief in der Wildnis, versuchte, mich mit Tieren zu verständigen. Respekt vor den Tieren zu lernen war eine weitere Aufgabe. Und ich musste in ein Dorf gehen, eine Ziege stehlen, damit wir etwas zu essen haben. Ich musste mich einfügen und als denaturalisierter Mensch in ihrer Welt überleben. Das war meine Prüfung. Jetzt bin ich ein Massai-Krieger“

Mit dem Filmabenteuer hat Lausbuben films einen neuen Weg in der Kategorie Dokumentarfilm gewagt: Klassische Tier- und Naturaufnahmen plus ein persönliches Experiment. Selbstversuche, into the wild – ist das Dein neuer Stil?

Benjamin Eicher: „Als Dokumentarfilmer habe ich schon mit cracksüchtigen Menschen auf der Straße gelebt. Dann drehte ich den Selbstversuch mit den Massai-Kriegern. Und nun bereite ich einen Dokumentarfilm über die Müllsammler in Kairo vor. Ich lebe mit ihnen in ihrem Viertel. Für diese Filme lasse ich alles auf mich zukommen. Ich schaue, was passiert und filme alles. Ich zeige das Leben anderer zwar aus meiner Perspektive, möchte aber dieses naturalistische Bild nicht durch eigene Vorgaben verfälschen. Wenn ich dagegen einen Dokumentarfilm über Lemuren auf Madagaskar mache, bereite ich die Drehorte ganz genau vor. Ich muss lange beobachten können, um schöne Bilder zu erhalten. Bei diesen Drehs muss ich unsichtbar sein; für die anderen Filmabenteuer bin ich fester Bestandteil. Meine Wahrnehmungen sind natürlich durch das europäische Leben beeinflusst, deshalb habe ich versucht, mich bei der Auswertung des Filmmaterials zurückzuhalten. Die Erstauswahl des Filmmaterials habe ich einem Cutter überlassen. Ich wollte einfach nicht noch mehr eingreifen. Der Film sieht jetzt ganz anders aus, als ich ihn mir ursprünglich vorgestellt hatte. Er zeigt mich nicht als den allwissenden Dokumentarfilmer; ich bin Teil in der Entwicklung der Thematik.“

Interview mit Hans-Peter Jahn

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